Die Kleine Hexe – Buch vs. Film

Früher habe ich in der Walpurgisnacht getanzt … heute Nacht zelebriere ich Walpurgis mit dem Kinderhörspiel „Die kleine Hexe“ von Ottfried Preussler.

Die kleine Hexe ist eine der ersten Geschichten, die Ottfried Preussler aufschrieb. Er hat sie sich für seine drei Töchter ausgedacht, damit sie keine Angst mehr vor Hexen haben. Das Buch erschien schon 1957 und ist bis heute ein Klassiker der Kinderliteratur, der bisher in 47 Sprachen übersetzt wurde.1

Das Buch wurde 2018 verfilmt und in den 1970ern kam die Geschichte auch als Hörspiel raus. Buch, Hörspiel, Film – Soviel Vielfalt macht das Werk interessant für eine komparatistische Betrachtung. Also genau das richtige für die Walpurgisnacht …

(Dieser Podcast erschien erstmals zum Kinostart des Film „Die kleine Hexe“ im Februar 2018).

Die Geschichte im Buch
Die kleine Hexe möchte die Walpurgisnacht auf dem Blocksberg feiern. Sie ist aber erst 127 Jahre alt, was noch sehr jung ist für eine Hexe, und darum darf sie nicht mit den alten Hexen mitfeiern. Sie schleicht sich trotzdem auf den Blocksberg und wird erwischt. Zur Strafe muss sie alle 7892 Hexensprüche aus dem Hexenbuch auswendig lernen und bis zur Walpurgisnacht im nächsten Jahr eine „gute Hexe“ werden.
Sie lernt fleißig und setzt Gelerntes auch gleich in der Praxis um. Ein Jahr später bei der Prüfung besteht sie alle an sie gestellten Zauberaufgaben, aber „gut“ und „böse“ wird nicht immer gleich definiert. Sie fällt durch die Prüfung und muss zur Strafe Holz fürs Hexenfeuer sammeln. Ihr fällt jedoch eine Lösung ein, mit der sie ihre ganz eigene Walpurgisnacht feiern kann und fortan die einzige Hexe ist, die hexen kann.

Eine vergnügliche Lektüre für Klein und Groß
Die Geschichte ist zeitlos, erfreulich deutlich, direkt und dabei auch lustig. Die Charaktere sind zwar flach und zeigen kaum Entwicklungen, aber sie sind stets passend und führen die Geschichte voran. Die kleine Hexe möchte man als Freundin, die alten Hexen mag man nicht und wünscht sich, dass sie für ihre Gemeinheiten bestraft werden. Mit dem Gut-Böse-Konflikt spricht Preussler eine spannende Thematik an, mit der er viele Ansätze bietet, die man mit Kindern diskutieren oder weiter philosophieren kann. Sicherlich ist es kein superkomplexes Buch, aber eine vergnügliche Lektüre.

Dennoch gibt es auch ein schwieriges Thema in dem Buch, das zeitgeschichtlich zu sehen ist. Die Wortwahl war in den 60ern noch anders, als der heutige Sprachgebrauch. So wird z. B. „Negerlein“ oder „Menschenfresser“ geschrieben. Inzwischen wurde das Buch überarbeitet und kritische Wörter gestrichen2. Falls man noch ein altes Exemplar im Schrank hat, sollte man das Buch zeithistorisch sehen und definitiv mit Kindern darüber reden, dass solche Wörter heute nicht mehr benutzt werden und warum. Wenn das Buch auch auf dieser Ebene ein Gesprächsangebot bietet, hat es auch noch einen weiteren pädagogischen Ansatz.

Die Geschichte wird ein Film
Die kleine Hexe ist sehr interessant, wenn man sie crossmedial betrachtet. Es gibt das Buch, verschiedene Hörspielversionen und auch eine Realverfilmung. In den 60ern, 70ern und 90ern gab es auch schon Verfilmungen als Puppenspiel und Zeichentrick. Für eine Kinoversion hat Preussler lange die Rechte nicht rausgegeben. Für die Realverfilmung konnte man Preussler direkt leider nicht mehr gewinnen, weil er 2013, während der Postproduktion von „Das kleine Gespenst“ gestorben ist (Er konnte für diesen Film gerade noch das Design des Gespenstes abnehmen, aber hat den finalen Film leider nicht mehr mitbekommen).
Seine Tochter Susanne verwaltet den Nachlass und war sich sicher, dass es im Sinne ihres Vaters gewesen wäre, wenn die Produzenten, die mit Preussler zusammen auch schon seine Werke „Das kleine Gespenst“ und „Krabat“(2008) verfilmt haben, sich auch der kleinen Hexe annehmen3. Zu Krabat gibt es sogar noch einen Brief, in dem Preussler an die Produzenten Uli Putz und Jakob Claussen schrieb, dass er froh sei, dass er seinen Krabat im Film wiedererkenne („Froh bin ich, dass ich in ihrem Film „meinen“ Krabat wiedererkennen kann.“5)

Vergleich Buch und Film
In einem Interview sagte Regisseur Michael Schaerer, dass es ihm wichtig war, die Geschichte nicht eins zu eins zu verfilmen, sondern dem Geist des Buches treu zu bleiben4. Das klingt jetzt erst mal schön formuliert, aber ich finde, dass der Film dem Buch sogar stark ähnelt. Buchfans werden begeistert sein.
Ein paar Dinge, sind aber doch unterschiedlich. Das Buch kann logischerweise mehr ausschmücken. Charakterzüge und Handlungen sind deutlicher herausgearbeitet als im Film und werden im Film nur angedeutet oder kurz angesprochen. Die weitere Denkarbeit muss der Zuschauer selbst machen.
Im Film ist alles zugespitzt, z. B. wir sehr schnell deutlich, dass die kleine Hexe die einzige ist, die alle Zaubersprüche im Kopf hat, während die älteren Hexen auf ihr Buch angewiesen sind.
Im Film ist der Rabe Abraxas ein Stubenhocker. Sogar so sehr, dass er das Fliegen verlernt hat. Im Film dient dies für eine dramaturgische Zuspitzung, die im Streit zwischen der Hexe und dem Raben endet, bei dem sogar ihre Freundschaft auf dem Spiel steht. Im Buch kann Abraxas fliegen. Im Hörspiel freut er sich sogar, unter Leute zu kommen.
Die Geschichte mit den Kindern ist im Film gänzlich hinzugedichtet, damit deutlich wird, dass die kleine Hexe eine gute Hexe sein möchte und sich auch dafür entschieden hat.

Abschlussfazit zum Film
Kinofans und die Fans der Bücher sowie des Hörspiels werden gleichermaßen zufrieden sein. Was unter anderem an der gelungenen Besetzung liegt. Karoline Herfurth ist wie gemacht für die Rolle. Sie spielt sie mit so viel Liebe und Hingabe, dass man denken könnte, sie sei wirklich die kleine junge Hexe, die sich nichts sehnlicher wünscht, als auf dem Blocksberg zu tanzen. Eine Literaturverfilmung bei der von der Geschichte, über die detailverliebte Requisite bis hin zu den Darstellern alles stimmt und man am Ende des Films bedauert, dass er nicht noch länger geht.

Gut vs. Böse Thematik
Die Zweideutigkeit ist ein besonders relevanter Aspekt in der Geschichte sowohl im Buch, im Film und im Hörspiel. Als eine gute Hexe musst du Böses hexen. Das wird der kleinen Hexe aber nicht erklärt. Sie hat als Lehrmeister nur ihren weisen Raben und der bestärkt sie darin Gutes, Hilfreiches und Positives zu hexen, um eine gute Hexe zu werden. Die erwachsenen Hexen verstoßen sie aber für ihre guten Taten – Eine gute, also talentierte Hexe, die ihres Gleichen würdig ist, muss Schlechtes für die Menschen hexen, also böse Taten vollbringen. Das geht aber sogar noch tiefer. Gut und Böse ist subjektiv. Wenn man den Förster zwingt, das Holz nach Hause zu tragen, um ihn eine Lehre zu erteilen, dass er die alten Mütterchen Holzsammeln lassen soll, ist das für die Mütterchen gut, aber dem Förster tut man böses an.
Auch die kleine Hexe ist nicht nur gut und treibt ihren Schabernack. Preussler bietet einen guten Denkanstoß dahin gehend, wo die Grenzen verlaufen.

Coming of Age Geschichte
Der Begriff ist neumodern, aber das Konzept gibt es aber schon lange. Die kleine Hexe führt ein recht selbstbestimmtes Leben, sowohl im Buch als auch im Film. Sie ist selbstbewusst und charakterstark und macht alles, was die großen Hexen ihr verbieten, wenn sie nicht einsehen kann, warum es verboten ist, z. B. auch freitags hexen, was Hexen untersagt ist. Es ist eine Geschichte von einer kleinen Hexe, oder halt ein junges Mädchen, das heranreift und sich in der Erwachsenenwelt behauptet. In Grimms Märchen reifen die Kinder heran, indem sie schlau handeln und die böse Hexe besiegen. Hier ist das schlaue Kind, das die Hexen besiegt, zugleich auch eine kleine Hexe.

 

 

1 http://www.preussler.de/die-kleine-hexe/wie-die-kleine-hexe-entstanden-ist/
2 https://www.boersenblatt.net/2013-01-10-artikel-_wir_wollen_keine_texte_gendern_-erklaerung_des_thienemann_verlags_zu_sprachanpassungen_bei_preussler-texten.587656.html
3 u.a. https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.verfilmung-mit-karoline-herfurth-die-kleine-hexe-war-wie-ein-mitglied-der-familie-preussler.a387d74a-f0fe-4074-b814-b018821da7af.html
4 Presseheft zum Kinofilm von Studiocanal
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Krabat_(2008)#cite_note-Pr%C3%BCfstelle-9

 

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