Juni 2018

Pocahontas von Susan Donnell

Erscheinungsjahr: 1991, Heyne Verlag
Kategorie: Fiktive Lebensgeschichte mit leidenschaftlichen Dreigroschenromanmomenten

Ich muss gestehen, ich kannte die Geschichte Pocahontas bisher eher nur aus dem gleichnamigen Disneyfilm. Natürlich wusste ich, dass mehr hinter der Figur stehen muss, und wollte daher das Buch unbedingt mal lesen. Ich habe mich auf die Erzählung einer starken Frau gefreut, die sich gegen ihren Vater auflehnt, ihre Traditionen umdenkt und ihren eigenen Lebensweg geht. Zudem hatte ich Lust auf eine Indianergeschichte, die mich mit in eine andere Kultur nimmt. Zugegeben Letzteres wurde erfüllt. Der Roman gibt einen interessanten Einblick, wie das Leben der indianischen Völker gewesen sein kann. Es wird jedoch schnell deutlich, dass der Roman trotz erwähnter Recherche im Vorwort wohl überwiegend Fiktion ist und in der Hinsicht der starken Frauenfigur wurde ich enttäuscht. Pocahontas muss sich nicht auflehnen, weil sich alles irgendwie so fügt, wie es für sie gerade problemlösend ist.

 

Der Hauptcharakter
Pocahontas ist die Lieblingstochter des Häuptlings. Sie ist eine Prinzessin, die weiß, wie wichtig ihr Handeln für ihr Volk ist und das sie einen Vorbildcharakter hat. Sie ist aber ebenso eine sehr neugierige Person, die Unbekanntes erforschen und Abenteuer erleben möchte. Zumindest im ersten Teil des Buches wird der Eindruck vermittelt, dass sie eine Frau ist, die sich in keine Rolle pressen lassen will. Dennoch gehorcht sie … Im zweiten Teil des Buches ist sie immer noch eine temperamentvolle, wissbegierige und ehrgeizige Diplomatin, die viel zum Frieden zwischen ihrem Volk und den Engländern beiträgt. Durch ihre Hochzeit und der Konversion ins Christentum scheint es so, als wenn sie ein Teil von sich aufgibt, sich selbst nicht treu bleibt. Auch wenn der Erzähler mehrmals betont, dass sie im Herzen irgendwie immer Engländerin war, passt der Anfang des Buches zu dieser Aussage weniger.

 

Die Rolle der Frau
Interessant ist die Rolle der Frau im Buch allemal. Das Volk Pocahontas – die Powhatans – werden als ein fortschrittliches Volk beschrieben, mit viel Wissen über Landwirtschaft, ausgewogener Ernährung, Jagd und Medizin. Ihr Beziehungsleben war nicht monogam, beispielsweise der König hatte viele Frauen und auch in niedrigeren Rängen wurde ein Seitensprung nicht immer gleich als Ende einer Beziehung gesehen. Im Großen und Ganzen wurde das Volk von Frauen geführt.

„Mir ist aufgefallen, daß die englische Frauen in ihrer Heimat nicht so viele Freiheiten haben wie wir hier“, erzählte sie Naha. „Nun leben sie hier und sehen, wie unabhängig wir sind, wieviel Macht wir haben, wie wir zusammen mit unseren Männern arbeiten und sie sogar beherrschen. Deshalb beginnen sie, unser Land zu mögen und uns nachzuahmen. Die Männer wagen es nicht, sich zu beklagen, denn es gibt zu wenig Frauen hier …“ (S. 382, Z. 27 fff)

 

Aufbau der Geschichte
Im Vorwort schreibt die Autorin, dass sie viel über das Volk, die Zeit und die Beziehungen zwischen Pocahontas und John Smith recherchiert habe. Ihre Quellen legt sie leider nicht offen, jedoch erwähnt sie, dass eine ihrer Schreibmotivationen die sei, dass sie mit dem Buch indirekt ihre Familiengeschichte aufarbeitet, da sie in der 14. Generation von Pocahontas abstamme. Inwiefern Fakt und Fiktion bzw. Wunschdenken in dem Roman zusammenkommen, lässt sich vielleicht gut an einem Satz aus dem Vorwort ablesen:

„In der Geschichtswissenschaft gibt es zwei Meinungen darüber, ob Pocahontas und John Smith ein Liebespaar waren oder nicht. In meinem Innersten bin ich mir aber ganz sicher, daß sie sich geliebt haben müssen.“ (S. 7, Z. 7fff)

Das Buch ist als Reisejournals aufgebaut mit vorangehenden Datum und Ortsangaben. Erzählt wird es jedoch von einem allwissenden Erzähler. Der Rahmen der Geschichte ist eine Londonreise. Die Indianerprinzessin kommt im ersten Kapitel an, anschließend wird detailliert ihre Geschichte, die des Landes und der Besiedelung erzählt. Im letzten Teil geht der Erzähler zum Ausgangspunkt in London zurück, erzählt von ihren Taten, Empfängen, Begegnungen und Eindrücken Londons bis zur Abreise. Der Rest ihres Lebensweges bzw. der Geschichte erfährt der Leser aus einem Epilog und einem Nachwort, das auch gut weggelassen werden kann.

 

Schreibstil
Der Stil des Romans rutscht oft ins Kitschige und gerade auch durch die Liebesszenen bekommt der Lesende den Eindruck, als wäre der Roman eher eine billig gemachte Schmuddellektüre, obwohl die Szenen wohl eher leidenschaftlich wirken sollen.

„Sie wollte ihm antworten, aber seine Lippen verschlossen ihr den Mund, und sie verloren sich beide in der feurigen Leidenschaft ihrer Liebe. Pocahontas verging Hören und Sehen. Ihr Körper, ein Meer von Empfindungen und ungestilltem Verlangen, schien mit dem Körper des Geliebten zu verschmelzen, eins zu werden. Ihrer beider Leidenschaft benebelte ihnen die Sinne derart, daß Pocahontas fast besinnungslos wurde, hemmungslos und wild wie ein Tier in der Erwiderung ihrer Liebe. Es dauerte lange, bis sie von einander abließen, erschöpft von der Wildheit ihrer Emotionen.“  (S. 296/297, Z. 33. fff)

Zudem geht mir nicht aus dem Sinn, dass Pocahontas bei dieser Szene zwischen 14 und 16 Jahre alt sein soll. Für ein so junges Alter sind ihre Gedanken oft schon sehr versiert, erwachsen und lebenserfahren.

 

Fazit:
Der Roman beginnt vielversprechend, aber enttäuscht hintenraus. Zwischenzeitig musste ich mich durch die Zeilen schleppen und war wenig gefesselt. Die Lebensgeschichte ist interessant, wenn auch arg dramatisch und etwas zu leidenschaftlich dargestellt. Die Frauenfigur beginnt stark, um dann umso deutlicher in Klischees und Stereotypen zu verfallen, was vielleicht auch an den teilweise christlich-missionarischen Zügen des Romans liegt.

Das Buch ist also weder ein glaubhafter Geschichtsroman noch eine packende Unterhaltungslektüre. Um mehr über eine vielleicht starke Frau zu erfahren, hätte ich wohl eher eine echte Biografie lesen sollen und um unterhalten zu werden, wäre es wohl besser gewesen, den Disneyfilm nochmal anzuschauen.