Juli 2018

The Hate You Give von Angie Thomas

Kategorie: Buch mit Stimme
Verlag: cbj Jugendbücher, 2017

„The Hate U Give“ von Angie Thomas ist ein Buch, das nachhallt, eines das definitiv etwas zu sagen hat und das als Jugendbuch genau auf die richtige Art macht. Es macht mit einer interessanten Geschichte und auf verständliche Weise auf Missstände aufmerksam, ohne den Zeigefinger zu erheben oder jemanden anzuprangern. Es zeigt auch, dass nicht immer alles schwarz oder weiß sein kann, dass Stereotype und Klischees in allen Köpfen verankert sind und vor allem aber auch, welche Gefahren und Unglücke aus Vorurteilen entstehen. Das Buch setzt sich mit wichtigen rassistischen Themen auseinander, die uns jeden Tag begegnen, aber die einem selbst manchmal eigenartigerweise eher selten bewusst werden.

 

Inhalt

Das Buch spricht eine offenkundige Problematik in der Gesellschaft zwischen schwarzen und weißen an.  In der Geschichte geht es um ein junges Mädchen namens Starr, die zusehen muss, wie ihr schwarzer bester Freund von einem weißen Polizisten erschossen wird. Ihre ganze Persönlichkeit zeigt, wie sie zwischen zwei Welten hin und her gerissen ist. Zum einen lebt sie in einem Ghetto, in dem sie schon als kleines Kind miterleben musste, wie vor ihren Augen ihre beste Freundin erschossen wurde, in dem Unruhen zum Alltag gehören, Jugendliche entweder Drogen nehme oder sie verkaufen und sich rivalisierende Gangs bekriegen. Zum anderen lernt sie aber auch das Leben ihrer Mitschüler an der Privatschule kennen, hat dort einen Freundeskreis und weiß, wie das Leben fern ab aus ihrem Ghetto aussehen kann.

„Zweierlei Menschen zu sein, ist so anstrengend. Ich habe mir angewöhnt, mit zwei verschiedenen Stimmen zu sprechen und über bestimmten Leuten nur bestimmte Dinge zu sagen. Darin war ich meisterhaft. Eigentlich muss ich nicht entscheiden, welche Starr ich sein will, wenn ich mit Chris zusammen bin, aber unbewusst habe ich es vielleicht doch getan.“ S. 341, Z. 11 ff

 

Zwischen zwei Welten

Starr erkennt selbst, dass sie an ihrer Privatschule ein anderes Mädchen ist, als in ihrem Ghetto und sie versucht beide Welten voneinander zu trennen, sogar absichtlich voneinander fern zu halten. Dies geht jedoch nicht mehr, als sie miterlebt, wie ihr bester Freund erschossen wird und sie erkennt welche Ungerechtigkeit zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe herrscht. Sie beschließt ihre Stimme zu erheben.

„Der Vater von hundertfünfzehn ist seine Stimme, aber ich bin Kahlils. Die einzige Möglichkeit, den Leuten seine Seite der Geschichte zu zeigen, besteht darin, dass ich mich zu Wort melde. …

Als ich zehn war habe ich gesehen, wie meine Freundin aus einem vorbeifahrenden Auto ermordet wurde.“ Erstaunlich, wie leicht mir „ermordet“ jetzt über die Lippen kommt. …

Ich schaue auf meine Finger und nestle herum, während mir Tränen in die Augen steigen. „Ich habe versucht, es zu vergessen, aber ich erinnere mich noch an jedes Detail. Die Schüsse, den Ausdruck in Nataschas Gesicht. Sie haben denjenigen, der das getan hat nie gefasst. Es war wohl nicht wichtig genug“ Ich sehe Ms. Ofrah wieder an, aber vor lauter Tränen erkenne ich sie kaum. „Und ich will, dass alle wissen, Khalil war auch wichtig.“ S. 251

Besonders interessant ist die Entwicklung von Starr. Sie merkt zunehmend, wie wichtig es ist seine Meinung zu äußern, sowohl im ruhigen Gespräch als auch im lauten Protest. Sie bricht ihr Schweigen und damit auch die eigenen gesellschaftlichen Fesseln, die sie sich auferlegt hat. Sie hat gemerkt, dass ein gemeinschaftliches Leben in einer Gesellschaft nichts damit zu tun hat so zu sein, wie andere einen haben wollen, sondern so zu sein wie man ist und andere Einstellungen oder Meinungen zu äußern, bevorzugt auf friedliche, aber bestimmte Weise.

„Ich fühle mich schrecklich. Ich kann nicht glauben, dass ich Hailey so eine Äußerung habe durchgehen lassen. Oder hat sie schon immer solche Witze gemacht und habe ich immer gelacht, weil ich dachte, das müsse ich?

Genau darin liegt das Problem. Wir lassen zu, dass Leute solche Dinge sagen, und dann sagen sie die so oft, dass es für sie okay und für uns normal ist. Wozu hat man eigentlich eine Stimme, wenn man in den entscheidenden Momenten schweigt?“ S. 288, Z. 3 ff

Diskriminierung fängt schon bei der Sprache an. Oft merkt man im Alltag oder im Gespräch gar nicht, dass man gerade etwas Diskriminierendes gesagt hat und jemanden verletzt hat, weil es für beide Seiten schon zu normal geworden.

Das Buch macht darauf aufmerksam, wie wichtig es ist Missstände zu thematisieren und den Mund aufzumachen. Es steht dafür die eigene Meinung zu vertreten und sich selbst nicht zu verleugnen.

„Wenn ich mich der Wahrheit stelle, so hässlich sie auch sein mag, hat sie recht. Ich habe mich für Garden Heights und alles, was dazugehört, geschämt. Auch wenn mir das jetzt dumm vorkommt. Ich kann nicht ändern, wo ich herkomme oder was ich erlebt habe, also warum sollte ich mich dafür schämen, was mich zu dem macht, was ich bin? Das wäre ja so, als würde ich mich für mich selbst genieren.“ S. 495, Z. 5 fff

Doch nicht nur die Charakterentwicklung der Protagonistin ist spannend mit zu erleben. Durch das Buch erhält man Einblicke, an die man ohne die Lektüre vielleicht nicht gekommen wäre. Thomas schafft es ohne Zwang jede Schicht auf authentische und meist auch sympathische Weise zu beschreiben. Man lernt Bewegründe zu verstehen, weniger zu verurteilen und wie von alleine wird der eigene Horizont erweitert. Von jeder Schicht gibt es einen Vertreter und sämtliche möglichen Probleme, wie Gangleben, High Society, Minderheiten, Gewalt, Drogen und auch das normale Durchschnittsleben, werden angesprochen. Das macht die Handlung komplex, ohne überfüllt zu wirken.

 

Fazit:

Man spürt irgendwie von Anfang an, dass das Buch nur ein realistisches Ende haben kann und wenn man die gegenwärtige Situation kennt, erahnt man, dass dies nicht unbedingt ein Happy End sein wird. Ohne jedoch zu viel vorwegzunehmen kann verraten werden, dass man ein bedingtes Happy End erkennen kann, das einen zum Nachdenken bringt und wenn das Buch erreicht hat, dass Menschen noch nach der letzten Seite drüber nachsinnen, hat es sein Ziel wohl erreicht. Am Ende des Buches ist man auf eine gewisse Weise zugleich aufgebracht und zufrieden – ein interessanter Mix der Gefühle und ein Eindruck, der nachhallt und auch nach der Lektüre Einfluss auf das eigene Handeln nimmt. Ein Buch, das gerechtfertigt für den deutschen Jugendliteraturpreis 2018 nominiert ist.