Dezember 2018

Nöstlinger Dreierlei

Kategorie: Liebe, Fantasie und Witz – fehlt nur noch die Schokolade

Es gibt im Leben ein paar Menschen, die einen irgendwie geprägt haben. Bei mir waren es definitiv meine Deutschlehrer. Angefangen vom cholerischen Tyrannen, der so Angst einflößend war, dass er dafür gesorgt hat, dass ich in der Mittelstufe jeden Sonntag an einer Textanalyse feilte und ganz nach seinem Grundsatz „wenn du es am Text belegen kannst, ist es nicht falsch“ ein Schutzschild gegen seine Schimpftiraden baute und im Rückblick damit eigentlich ziemlich gut wegkam. In der Oberstufe dann, zum Glück etwas freundlicher, ein Lehrer, der uns nicht nur die klassische Literatur ans Herz legte, sondern sie mit Weltwissen verband und uns über ihre Grenzen hinaus zeigte, welche Bedeutung Bücher haben können. Im Studium kam dann die Spezialisierung dran und hätte ich nicht eine Dozentin gehabt, die voller Eifer für Kinder- und Jugendliteratur brennt, wer weiß, ob ich dann ebenso Feuer gefangen hätte.

Die ausgezeichneten Talente Nöstlingers
Es ist eine Kunst gute Bücher für Kinder zu schreiben. Dank der Dozentin bin ich auf Christine Nöstlinger gestoßen. Nöstlinger ist eine Schriftstellerin aus Wien, die viele Kinder- und Jugendbücher schreibt, aber ebenso Gedichte, Romane, Filmmanuskripte. Ihre Kinder- und Jugendbücher wurden schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, wie z. B. dem deutschen Jugendbuchpreis („Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“), den Buxtehuder Bullen sowie Holländischen Jugendbuchpreis („Maikäfer flieg!“), dem österreichischen Staatspreis („Zwei Wochen im Mai“, „Der Hund komm!“) oder dem Hans-Christian-Andersen-Preis und dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für ihr Gesamtwerk.

Im Laufe der Jahre haben sich bei mir so einige Nöstlinger Bücher angesammelt, die mich nun aus meinem Regal anlächeln. Daher dachte ich mir, jetzt ist es Zeit sie auch endlich mal zu lesen.

 

Der Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach
Verlag: Beltz & Gelberg, 1974, 2002

Es wird deutlich, dass sich der Titel an der Redewendung „Besser ein Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ orientiert. Allein über diesen Spruch könnte man stundenlang philosophieren und in der Tat kann man sich auch über die Geschichte, die immer wieder mit dem Spruch in Verbindung kommt, lange und kontrovers austauschen.

In dem Buch geht es um Lotte, die langsam in die Pubertät kommt bzw. ist. Sie ist nicht besonders gut in der Schule, nicht unbedingt eine Vorzeigetochter und macht hin und wieder Unsinn. Sie ist aber auch keine Rabaukenkönigin oder irgendwie kriminell auffällig. Sie ist ein normales durchschnittliches Kind, das sich nun zum ersten Mal verliebt. Interessant sind daher die Charakterbeschreibungen und die Figurenkonstellationen. Mit ihren Eltern will Lotte nicht viel am Hut haben. Ihr bester Freund ist der Mundi, zumindest behauptet dieser das. Für Lotte scheint Mundi einfach nur praktisch zu sein. Geschickt nutzt sie es aus, dass Mundi anscheinend Gefühle für sie hegt und nutzt dies zu ihrem Vorteil. Ihr Herz schlägt hingegen für Schurli, der erst vor Kurzem in ihrem Wohnhaus eingezogen ist. Ihn versucht sie zu beeindrucken und überschreitet dafür auch gerne Grenzen.

Das Buch enthält, wie für Nöstlinger typisch, keine Moral oder einen erhobenen Zeigefinger. Es ist nicht offensichtlich pädagogisch und das macht es so wertvoll. Die Figur Lotte ist teilweise noch nicht mal sympathisch. An vielen Stellen wirkt sie eher gemein, berechnend, selbstsüchtig und immer nur auf ihre eigenen Vorteile bedacht. Doch gerade durch diese Figurencharakterisierung zeichnet sich Nöstlinger aus. Sie bietet mit ihrer kurzen Erzählung ein riesiges Gesprächsangebot. Sollte man sich so verhalten? Ist es wirklich besser, das zu behalten, was man hat und nicht das zu wollen, was man vielleicht nicht oder zumindest nur schwer bekommen kann? Sollte man wirklich so schnell resignieren und seine Hoffnung aufgeben oder lohnt es sich zu kämpfen?

Manchmal hatte ich das Gefühl, die Geschichte ist wenig hoffnungsvoll. Dann wurde mir jedoch bewusst, dass sie gerade dadurch animiert, sich für seine eigenen Wünsche einzusetzen. Auch wenn die Handlung wenig komplex ist, ist es durch die spannende Beziehungskonstellation und Figurencharakterisierung eine Geschichte, bei der man wissen möchte, wie es weiter geht.

 

Hugo – Das Kind in den besten Jahren
Verlag: Beltz & Gelberg, 1989, 2004

Sehr viel Fantasie steckt in Nöstlingers Kinderroman Hugo. An vielen Stellen wirkt er absurd, was ihn nur umso interessanter, amüsanter und inspirierender macht. Neben der normalen Erzählebene gibt es eine tiefere Ebene, die auf gesellschaftliche Missstände hinweist.

Die Geschichte handelt von Hugo. Er ist ein altes Kind in seinen besten Jahren. Seine Mission ist es eine Gewerkschaft alter Kinder zu gründen, um eine Rente für alle alten Kinder zu erkämpfen. Dafür fliegt er auf einem Zeitungspapier umher und sammelt Unterschriften sämtlicher alter Kinder.

Im Buch wird das Unmögliche Normalität, so kann Hugo nicht nur fliegen, sondern es gibt auch Kinder, die so klein sind, dass die in ein Buch passen und so schön singen können, dass jeder einschläft, der ihnen zu hört, es gibt Kampfhasen und Hunde, die einen Putsch gegen die Stadt planen sowie dicke große Kinder, deren Aufgabe es ist auf dem Kirchturm zu sitzen oder Weberinnen, die Landschaften in 3D Teppichen verewigen. In dem Buch steckt so viel Fantasie, dass es nicht möglich ist, dies hier knapp darzustellen. Interessant ist jedoch, dass im Laufe des Buches jede weitere aufkommende Absurdität für den Leser normaler wird. Was zeigt, wie sehr das Buch Horizonte öffnet.

Neben der Geschichte, die schnell erzählt ist, ist das wohl das Besondere. Das Buch lässt sich nicht von der Realität einschränken. Nöstlinger schreibt einfallsreich und beim Lesen bleibt es nicht aus, dass man lächeln muss oder Parallelen zur eigenen Welt sucht. Stellenweise hat mich das Buch auch an die Konstruktionen von Walter Moers erinnert.

„‘Freund Hugo‘ rief Lazin. ‚Das sehe ich nicht ein. Ich bin einer, der zuerst alles richtig erträumt. Zuerst muss man sich eine schöne gerechte Welt zusammen träumen, ganz genau austräumen muss man sie. Weil man dann weiß, was man alles ändern muss. Ich habe bereits alles durchgeträumt, und ich sage dir, das Geld ist das größte Übel! Hasenhatz und Alte-Kinder-Los und Katzendiskriminierung und Krähenleid und Hundsminderheiten abschaffen ist bloß Flickenarbeit. Damit änderst du in Wirklichkeit einen Schmarren! Du verklebst der Welt bloß ein paar eitrige, stinkige Stellen mit Heftpflaster. Gleich daneben kommt dann die nächste Beule! Das Geld muss weg, dann erledigen sich die anderen Sachen von selbst!‘“ (S. 194, Z. 8 ff)

Schade fand ich, dass Hugo zu seinen Eltern ein so schlechtes Verhältnis hat. Das Buch geht dem Klischee nach, dass Eltern immer doof sind und stets nur alles verbieten. Das wird schon in den Namen Miesmeier 1 und Miesmeier 2 deutlich. Immerhin zeigt diese Benennung eine gewisse Geschlechterneutralität.

Es ist ein modernes, fantasiereiches Werk, das auf mehreren Ebenen zum Denken anregt und dabei nicht bedeutungsschwer wirkt.

 

Einen Löffel für Papa Einen Löffel für Mama
Verlag: dtv, 1993

Nöstlinger hat jedoch nicht nur Kinderbücher geschrieben, wie ich feststellen musste. Durch ihr Buch „Einen Löffel für den Papa. Einen Löffel für die Mama“ habe ich rausgefunden, dass Nöstlinger auch Bücher für Erwachsene schreibt. In diesem Buch beschreibt Nöstlinger verschiedene Essgewohnheiten von Kindern und wie Eltern darauf reagieren bzw. reagieren könnten. Obwohl das Buch schon 1993 erschienen ist, hat es seither nicht viel an Aktualität eingebüßt. Auch die übertriebene Beschreibung elterlicher Fürsorge ist gleich geblieben – was vielleicht am Thema Essen liegt.

In diesem Buch lernt man gut aufgelistet und zusammengefasst die vielen Seiten des Suppenkaspers, des Vielfraßes und des Falschernährers kennen. Man bekommt Tipps und Tricks an die Hand, woran man sie erkennt und wie man ihnen entgegenwirkt.

Dieser Leitfaden zur Ernährung hat jedoch nicht den Anspruch ein Ratgeber zu sein oder gar ernst genommen zu werden. Es ist eher eine Belustigung für den Leser, quasi ein Scherz mit einem Fünkchen Wahrheit. Eine Zielgruppe ist dabei schwer auszumachen. Es wirkt sogar oftmals so, als wenn Nöstlinger nur zu ihrem eigenen Amüsement schreiben würde.

Das Buch hat einen sehr lockeren Schreibstil. Im Gegensatz zu ihren Kinderbüchern schreibt sie in wienerischer Umgangssprache und benutzt Begriffe, die ich als Unwissende auch mal nachschlagen musste. Leider sind aber auch sehr viele Klischees und Stereotype im Buch enthalten … denn natürlich ist zu Hause die Mutter fürs Kochen zuständig … nur, um mal ein Beispiel zu nennen. Man sollte bei der Lektüre also ein Auge zudrücken können.

Das Buch ist einfach ein lustiges Werk zum Thema Ernährung, also nicht hochliterarisch, sondern eher etwas Lockeres für zwischendurch. Ich wurde durch die Lektüre nicht dümmer, hätte aber auch nichts verloren, wenn ich es nicht gelesen hätte. Mein Interesse an ihren anderen Werken für Erwachsene hat es jedoch geweckt.